Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

  • Bild Interview Sternenjaeger.ch Copyright 2012 - sternenjaeger.ch

Texte von Uri Avnery

Jan 12, 2013

Willkommen, Chuck!


CHUCK HAGEL gefällt mir sehr. Ich bin nicht ganz sicher, warum.

 

Vielleicht ist es sein Kriegserlebnis. Er wurde für seine Tapferkeit im Vietnam-Krieg (den ich verabscheute) ausgezeichnet. Er war nur ein Sergeant. Da ich nur ein Korporal in unserm Krieg von 1948 war, sehe ich mit Begeisterung, dass ein Unteroffizier Verteidigungsminister werden soll.

 

Wie so viele Veteranen, die den Krieg aus nächster Nähe erlebt haben (wie ich auch), ist er ein Kriegsfeind geworden. Großartig!



Willkommen, Chuck!

Uri Avnery

 

CHUCK HAGEL gefällt mir sehr. Ich bin nicht ganz sicher, warum.

Vielleicht ist es sein Kriegserlebnis. Er wurde für seine Tapferkeit im Vietnam-Krieg (den ich verabscheute) ausgezeichnet. Er war nur ein Sergeant. Da ich nur ein Korporal in unserm Krieg von 1948 war, sehe ich mit Begeisterung, dass ein Unteroffizier Verteidigungsminister werden soll.

Wie so viele Veteranen, die den Krieg aus nächster Nähe erlebt haben (wie ich auch), ist er ein Kriegsfeind geworden. Großartig!

 

JETZT WIRD Hagel von allen Neo-Con-Kriegstreibern wild angegriffen - fast keiner von ihnen hat jemals in Kriegen, in die sie andere schickten, eine Kugel an sich vorbei pfeifen gehört. Auch die vereinigten politischen Regimenter des amerikanisch jüdischen Establishments greifen ihn an.

Seine größte Sünde scheint die zu sein, dass er sich dem Krieg gegen den Iran widersetzt. Gegen einen Angriff auf den Iran zu sein, bedeutet antiisraelisch, antisemitisch zu sein und tatsächlich die Zerstörung Israels, wenn nicht gar aller Juden zu wollen. Es ist egal, dass fast alle gegenwärtigen und früheren israelischen Militär- und Nachrichtendienstchefs auch gegen einen Angriff auf den Iran sind.

Aber Benjamin Netanjahu weiß es besser.

In der letzten Woche malte der frühere hoch gelobte Chef des Shin Bet ein erschreckendes Bild von Benjamin Netanjahu und Ehud Barak bei einem Sicherheitstreffen, bei dem vor einiger Zeit über die Bombardierung des Iran diskutiert wurde. Die beiden waren in Hochstimmung, rauchten Zigarren und tranken Whisky - sehr zum Missfallen der versammelten Sicherheitschefs. In Israel werden Zigarren als protziger Luxus angesehen, und während der Arbeit Alkohol zu trinken, ist ein Tabu.

Tatsächlich, denke ich, ist die Ernennung von Hagel für Netanjahu eine Erleichterung. Nach all den Jahren, als die die iranischen Atombombe als das Ende der Welt, oder wenigstens Israels dargestellt wurde, ist die Bombe auf geheimnisvolle Weise aus Netanjahus Wahlkampagne verschwunden. Hagels Ernennung kann Netanjahu erlauben, von diesem Baum ganz und gar herunter zu klettern.

Aber der Katalog von Hagels Verbrechen ist viel umfangreicher.

Vor vielen Jahren nannte er die pro-Israel-Lobby in Washington die „Jüdische Lobby. (Unerhört!) Bis dahin glaubte man wohl, die AIPAC -Mitglieder ------- Buddhisten seien, die hauptsächlich von arabischen Milliardären finanziert würden, wie Abu Sheldon und Abel al-Adelson.

 

DOCH HAGELS abscheulichste Sünde wird nicht oft erwähnt. Während er als republikanischer Senator von Nebraska wirkte, äußerte er einmal die unaussprechlichen Worte: „Ich bin ein amerikanischer Senator und kein israelischer Senator!“

Hier liegt der Hase im Pfeffer.

US-Senatoren sind fast alle israelische Senatoren, und dasselbe gilt auch für die US-Kongressmänner. Kaum ein einziger von ihnen würde es wagen, die israelische Regierung bei irgendeinem Problem zu kritisieren, auch wenn es noch so klein wäre. Israel zu kritisieren, ist politischer Selbstmord. Die jüdische Lobby verwendet ihre riesigen Ressourcen nicht nur dafür, dass loyale pro-Israel-Leute gewählt und wiedergewählt werden, sondern nützt diese Ressourcen offen dafür, dass die paar Gewählten, die es wagen, Israel zu kritisieren, abgewählt werden. Sie haben fast immer Erfolg.

In seiner gegenwärtigen Wahlkampagne zeigt der Likud immer, immer wieder die Szene, als Netanjahu vor dem US-Kongress eine Rede hielt. Man sieht wie die die Senatoren und Kongressleute nach jedem einzelnen Satz applaudieren, auf und abspringen wie Kinder im Turnunterricht. Der Text des Ausschnitts besagt: „ Wenn Netanjahu spricht, hört die Welt zu!“

(Etwas Komisches: direkt nach dieser schimpflichen Szene zeigt der TV- Ausschnitt, wie sich Netanjahu an die UN-Vollversammlung wendet. Da der Applaus dort gering war – kaum einer außer Avigdor Lieberman und die andern Mitglieder der israelischen Delegation applaudierten in der halb leeren Halle – verwendeten die Editoren des Ausschnitts einen kleinen Trick: sie nahmen den Applaus aus dem US-Kongress und verlegten ihn in die UN-Versammlungshalle.)

Irgendjemand sandte mir eine Satire: wenn Hagels Ernennung vom US-Senat nicht abgewiesen werden sollte, wird Israel sein Veto-Recht anwenden müssen, um dies zu blockieren. In solch einem Fall würde der Senat eine 90%ige Mehrheit aufbringen müssen, um das Veto zu überwinden. Falls dies fehlschlagen sollte, müsste Präsident Obama einen anderen Verteidigungsminister aus der Liste von drei durch Netanjahu zusammenstellte drei Namen wählen.

Spaß beiseite, das israelische Verteidigungsestablishment macht sich über die Ernennung Hagels keine Sorgen. Es scheint ihn als jemanden zu kennen, der israelischen Forderungen gerne nachgibt. Mehrere israelische Generäle haben ihn schon verteidigt.

 

DIESE GANZE Episode könnte als Belanglosigkeit angesehen werden oder sogar als Spaß, wäre da nicht die Frage: warum ernannte Präsident Obama diese kontroverse Person an erster Stelle?

Eine eindeutige Antwort ist: es ist ein Racheakt. Obama hat seine Emotionen unter Kontrolle. Während all der Monate, in denen Netanjahu Mitt Romney unterstützte, reagierte Obama nicht. Aber seine Wut muss sich in ihm aufgestaut haben.

Nun ist die Zeit gekommen. Hagel zu ernennen und die pro-Israel-Lobby zu demütigen, kam auf eines heraus. In Zukunft kann noch mehr dergleichen erwartet werden. Jeder kleine Stoß aus Amerika wird in Israel als schwerer Schlag empfunden.

Übrigens könnte dieser Schlag von den oppositionellen Parteien hier benützt werden, um Netanjahu ausgesprochene Inkompetenz vorzuwerfen. Romney zu unterstützen, war einfach dumm. Um so mehr als Netanjahu, der in den USA aufgewachsen ist, sich selbst als Experte von US-Angelegenheiten sieht. Aber keine Partei wagt es, dieses Thema in unserer Wahlkampagne anzusprechen, aus Furcht nicht als Super-Patriot angesehen zu werden.

Ich erwarte nicht, dass Präsident Obama in nächster Zeit seine Haltung gegenüber Israel verändert, außer einigen kleinen Strafen wie diese hier. Aber wenn wir unsere Augen zum Horizont erheben, sähe das Bild anders aus.

Es gibt schon einen merklichen Unterschied zwischen Obama I und Obama II. Als er zum ersten Mal gewählt wurde, wählte er Chas Freemann, einen hoch geachteten Diplomaten, zum Chef des Nationalen Sicherheitsrates. Die pro-Israel-Lobby wandte sich stürmisch dagegen, und die Ernennung wurde zurückgenommen. Obama zog damals eine öffentliche Demütigung einer Konfrontation mit der Lobby vor. Wie anders ist es diesmal!

Dieser Wandel dürfte in Obamas zweiter Amtszeit sehr viel markanter ausfallen. Der Griff der Lobby auf Washington DC lockert sich ein leicht, langsam, aber deutlich.

 

WARUM?

Ich glaube, dass einer der Gründe der ist, dass die Wahrnehmung der amerikanisch jüdischen Öffentlichkeit sich verändert. Amerikanische Politiker beginnen zu realisieren, dass die jüdischen Wähler weit davon entfernt sind, einmütig hinter der Lobby zu stehen. Die amerikanisch jüdischen „Führer“, fast alle selbst ernannt und niemand vertretend, aber eine kleine Clique von professionellen Vertretern, wie auch die israelische Botschaft und einigen rechten Milliardären beherrschen die jüdischen Wähler nicht.

Dies wurde klar, als Netanjahu Romney unterstützte. Die Mehrheit der jüdischen Wähler unterstützte weiter Obama und die demokratische Partei.

Das ist keine plötzliche Entwicklung. Seit Jahren haben sich amerikamische Juden, besonders die jungen Juden, vom jüdischen Establishment distanziert. Sie wurden von der offiziellen israelischen Politik immer mehr desillusioniert: von der Besatzung befremdet, angewidert von den Bildern israelischer Soldaten, die hilflose Palästinenser zusammenschlagen; sie haben sich leise davon gemacht. Leise, weil sie eine antisemitische Reaktion befürchten. Juden werden von früher Kindheit an indoktriniert, dass „wir Juden zusammenhalten müssen“ angesichts der Antisemiten.

Nur ein paar tapfere amerikanische Juden sind bereit, offen – wenn auch zaghaft – Israel zu kritisieren. Aber die US-Politiker sind langsam dabei, sich der Tatsache zu stellen, dass ein großer Teil der Lobbystärke auf Bluff beruht und dass die meisten amerikanischen Juden ihr Wahlverhalten nicht von Israel bestimmen lassen.

 

DIE AMERIKANER müssen fast wie Engel sein - wie sollte man sonst ihre unglaubliche Geduld erklären, mit der sie die Tatsache hinnehmen, dass auf einem lebenswichtigen Sektor der US-Interessen die amerikanische Politik von einem fremden Land diktiert wird?

Mindesten seit fünf Jahrzehnten ist die Nahostpolitik der USA in Jerusalem entschieden worden. Fast alle amerikanischen Offiziellen, die sich mit diesem Gebiet befassen sind jüdisch. Der hebräisch sprechende amerikanische Botschafter in Tel Aviv konnte leicht durch den Botschafter in Washington ausgetauscht werden. Manchmal frage ich mich, ob sie bei Treffen amerikanischer und israelischer Diplomaten nicht manchmal ins Jiddische geraten.

Ich habe viele Male davor gewarnt, dass dies nicht auf immer so gehen kann. Früher oder später werden echte Antisemiten – eine widerliche Brut – diese Situation ausnützen, um Legitimität zu erlangen. Die Hybris von AIPAC könnte giftige Früchte tragen.

Seit Israel auf jedem Gebiet von US-Unterstützung abhängig ist – vom UN-Sicherheitsrat bis zu den Schachtfeldern zukünftiger Kriege – ist dies eine reale existentielle Gefahr.

Vielleicht ist die Lobby von dieser Gefahr alarmiert worden. In der augenblicklichen Affäre ist ihre Stimme bemerkenswert gedämpft. Sie wollen nicht auffallen.

 

DER TRAURIGSTE Teil der Geschichte ist, dass alle diese falschen „Freunde Israels“ im US-Kongress und in den amerikanischen Medien „Israel“ nicht wirklich umarmen. Sie umarmen Israels rechten Flügel, einschließlich des extremen und sogar des faschistischen rechten Flügels. Dadurch helfen sie dem rechten Flügel, ihre Macht über unser Land zu verstärken.

Die amerikanische Politik spielt eine große Rolle in der Agonie des israelischen Friedenslagers, die in der gegenwärtigen Wahlkampagne so offenkundig wird. Nur ein Beispiel: die riesigen Siedlungsbemühungen, die jetzt im Gange sind und die die Zwei-Staaten-Lösung mit Frieden immer schwieriger machen, werden von amerikanischen Juden bezahlt, die ihre Spenden über steuerfreie Organisationen schleusen. Auf diese Weise finanziert praktisch die US-Regierung die Siedlungen, die sie offiziell als illegal verurteilt.

Seit dem 19. Jahrhundert haben Zeitungen sich daran gewöhnt, ihre Berichte mit der Redensart „Frankreich protestiert“ und „Deutschland erklärt“ abzukürzen, wenn sie „die französische Regierung protestiert“ und „die deutsche Regierung erklärt“ meinen. So schreiben die Medien heute, dass „Israel“ die Siedlungen fördert, wenn es tatsächlich die israelische Regierung ist, die das tut. Mehrere geachtete Meinungsumfragen der letzten Zeit beweisen, dass die meisten Israelis Frieden auf der Basis einer Zwei-Staaten-Lösung wünschen, die aber von unserer Regierung täglich unterlaufen wird.

ZURÜCK ZU Senator Hagel: die israelische Regierung und die „Freunde Israels“ werden alles tun, um seine Ernennung zu unterminieren.

Was mich selbst betrifft, so hoffe ich, dass diese Ernennung eine neue amerikanische Politik ankündigt – eine Politik der Unterstützung für ein vernünftiges, rationales, liberales, säkulares, demokratisches Israel, das sich um Frieden mit den Palästinensern bemüht.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)