Der Frieden zwischen Israel und Palästina ist möglich !!

Uri Avnery vertritt seit 1948 die Idee des israelisch-palästinensischen Friedens und die Koexistenz zweier Staaten: des Staates Israel und des Staates Palästina, mit Jerusalem als gemeinsamer Hauptstadt. Uri Avnery schuf eine Weltsensation, als er mitten im Libanonkrieg (1982) die Front überquerte und sich als erster Israeli mit Jassir Arafat traf. Er stellte schon 1974 die ersten geheimen Kontakte mit der PLO-Führung her.

  • Uri Avnery trifft Jassir Arafat - Foto Uri Avnery 1982

  • Festakt zur Verleihung der Carl-von-Ossietzky-Medaille 2008 der Internationalen Liga für Menschenrechte. Von links nach rechts: Mohammed Khatib & Abdallah Aburama (Bürgerkomitee von Bil'in), Rachel Avnery, Fanny-Michaela Reisin (Präsidentin der Liga), Uri Avnery, Adi Winter & Yossi Bartal (Anarchists against the wall) - Foto Michael F. Mehnert CC BY-SA 3.0

  • Bild Interview Sternenjaeger.ch Copyright 2012 - sternenjaeger.ch

Texte von Uri Avnery

Feb 16, 2013

Die Suabis


DER EINZIGE Beitrag von Yair Lapid zu israelischer Folklore ist bis jetzt sein Ausspruch, er werde keinen Schritt machen, um Benjamin Netanyahu zu blockieren, da dies bedeuten würde, sich mit „den Suabis“ zu verbinden.

Das muss ausländischen Lesern erklärt werden. Die Suabi-Familie ist eine große Hamula (eine große Sippe) in Nazareth und in den benachbarten Orten. Mehrere Mitglieder dieser Familie dienten seit den frühen Tagen Israels in der Knesset, alle als Mitglieder zionistischer Parteien oder arabischer Fraktionen, die mit zionistischen Parteien verknüpft waren.



Die Suabis

 

Uri Avnery

DER EINZIGE Beitrag von Yair Lapid zu israelischer Folklore ist bis jetzt sein Ausspruch, er werde keinen Schritt machen, um Benjamin Netanyahu zu blockieren, da dies bedeuten würde, sich mit „den Suabis“ zu verbinden.

Das muss ausländischen Lesern erklärt werden. Die Suabi-Familie ist eine große Hamula (eine große Sippe) in Nazareth und in den benachbarten Orten. Mehrere Mitglieder dieser Familie dienten seit den frühen Tagen Israels in der Knesset, alle als Mitglieder zionistischer Parteien oder arabischer Fraktionen, die mit zionistischen Parteien verknüpft waren.

Das augenblickliche Mitglied der Knesset, das diesen angesehenen Namen trägt, ist Frau Chanin Suabi, die 44jährige Vertreterin der arabisch- nationalistischen Balad-Partei. Der Gründer der Partei, Asmi Bishara, hat Israel verlassen, nachdem er wegen Sicherheitsdelikten angeklagt wurde. Er sagte, er könne sich wegen schwerer Diabetes keinen Gefängnisaufenthalt leisten.

Chanin jedoch wird weithin um ihrer selbst willen gehasst. Sie hat ein Talent, das jüdischen Israelis auf die Nerven geht. Sie ist mit Absicht provokativ, scharf und macht einen wütend. Einmal wurde sie physisch angegriffen, als sie am Knesset-Rednerpult eine Rede hielt, und zwar von einer Anbeterin Avigdor Liebermans. Sie zuckte nicht zurück.

Was sie berühmt (oder verhasst) machte, war ihre kühne Entscheidung, an Bord des türkischen Schiffes Mavi Marmara zu gehen, um zu versuchen, die Blockade zu brechen und Gaza mit allerlei dort Notwendigem zu erreichen. Der Vorfall, bei dem neun Türken von israelischen Kommandos erschossen wurden, löste einen Tsunami von Emotionen in Israel aus. Chanin Suabi wurde als Verräterin gebrandmarkt. Viele arabische Bürger bewunderten ihren Mut, aber das hinderte ihre Partei nicht, einen Sitz bei den vor kurzem erfolgten Wahlen zu verlieren. Doch Suabi behielt ihren Sitz in der neuen Knesset.

Sie gehört nun zu denen, die am meisten gehasst werden. In einem kürzlich erschienenem Artikel setzte ein führender Journalist ihr Foto neben das von Sarah Netanyahu und nannte die beiden die am meisten gehassten Frauen Israels – die eine auf der Linken, die andere auf der Rechten.

Falls also Lapid sich geweigert hätte, mit Chanin zu kooperieren, hätten nur wenige jüdische Israelis ihn kritisiert. Was einen Sturm von Protesten auslöste, war ein einziger Buchstabe. Lapid weigerte sich nicht, mit Chanin Suabi zusammen zu arbeiten, sondern mit „den Suabis“ – im Plural. Dies wurde verstanden, als habe er alle Mitglieder der drei arabischen Fraktionen in der Knesset gemeint.

„Rassist!“ der Schrei kam von allen Seiten. „Unentschuldbar!“ „Unerträglich!“ „Abscheulich!“

 

DIESE SCHREIE könnten überzeugend gewesen sein, wenn man von einer Tatsache absieht: bei allen gegenwärtigen Bemühungen, eine neue Regierungskoalition zu schaffen, schlug kein einziger vor, „arabische“ Fraktionen mit ein zu beziehen.

Es gibt drei „arabische“ Fraktionen („arabisch“ in Anführungszeichen, weil eine von ihnen, die kommunistische „Hadash“ , ein jüdisches Knesset-Mitglied, den populären Dov Hanin, hat. Doch die Wähler der Partei sind fast alle Araber. Die Anzahl ihrer jüdischen Wähler waren dieses Mal tatsächlich weniger.)

Die Mitglieder dieser Fraktionen leben praktisch in einem parlamentarischen Ghetto. Sie funktionieren wie andere Mitglieder, haben volle Rechte, einer von ihnen ist ein Vize-Knessetpräsident und leitet Sitzungen, theoretisch könnten sie sogar ihre Reden auf Arabisch halten, obwohl alle vorziehen hebräisch zu reden.

Doch gibt es so etwas wie eine Glaswand zwischen ihnen und ihren Kollegen. Unter den jüdischen Mitgliedern besteht eine stillschweigende Übereinkunft, sie sollten nicht in Koalitionen mit eingeschlossen werden. Am nächsten kamen sie 1993, als Yitzhak Rabin von ihrer Unterstützung abhängig war, ohne sie in seine Koalition aufzunehmen. Ohne dies wäre das Oslo-Abkommen nie zustande gekommen, noch wäre Rabin ermordet worden. Die erbittertste Verurteilung seiner Politik war: er hätte keine „jüdische Mehrheit“ gehabt und hätte mit Hilfe der arabischen Fraktionen „unser von Gott verheißenes Land“ weggegeben. Einer der extremsten Ankläger war Benjamin Netanyahu.

 

MAN MAG sehr wohl fragen, wie die Araber überhaupt in die Knesset gekommen sind.

Dies stand unter keinen Umständen von vornherein fest. Schließlich wurde in Israels Unabhängigkeitserklärung der neue Staat als ein „jüdischer“ erklärt. Warum sollte es Arabern erlaubt sein, sich daran zu beteiligen, für den jüdischen Staat die Gesetze zu erlassen? Warum sollten sie überhaupt Bürger sein?

Darüber gab es während der Gründung des Staates 1948 bei geheimen Beratungen eine lebhafte Debatte. Es war David Ben-Gurion, der die endgültige Entscheidung traf. Er machte sich Gedanken über die Weltmeinung, besonders zu einer Zeit, als Israel um die Mitgliedschaft in der UN kämpfte. Da Ben-Gurion ein Politiker war, konnte er gut die nationalen Interessen mit seinen eigenen verbinden.

Die erste Knesset wurde im Januar 1949 gewählt, während der Krieg noch andauerte. (Ich erinnere mich, wie ich nach meiner Verwundung nahe dem Militär-Erholungsheim wählen ging.) Zu jener Zeit standen die nach der Massenflucht und -vertreibung in Israel verbliebenen Araber unter einer Militärregierung, die das Leben jedes einzelnen Arabers bis ins kleinste Detail vom Militärgouverneur völlig abhängig machte.

Ben-Gurion sah dazu, dass die arabischen Bürger – während sie sich einer freien Wahl erfreuten – seine Partei, die Mapai, wählten. Den Ältesten der Familienclans wurde gesagt, das Leben würde für sie unerträglich, wenn sie nicht die vorgeschriebene Anzahl von Stimmen für diese Partei aufbrächten. Jedem einzelnen wurde gesagt, wie seine Leute wählen müssten – für Mapai selbst oder für eine der arabischen Fraktionen, die von Mapai genau für diesen Zweck aufgestellt wurde.

Ohne diese gefangenen Stimmen wäre es für Ben-Gurion schwierig gewesen, seine Koalitionen während seiner 15 Jahre Amtszeit aufrecht zu erhalten.

 

NACH DER Nakba des 1948er-Krieges standen die zurückgebliebenen etwa zweihundert Tausend „israelischen Araber“ unter Schock. Weder hatten sie die Mittel noch wagten sie es, in irgendeiner Weise gegen die Regierung zu opponieren.

Die einzige Ausnahme waren die Kommunisten. Während des 1948er-Krieges war die zionistische Führung eng mit Stalin verbündet, der uns mit fast allen Waffen versorgte. Dieses Bündnis dauerte einige Jahre, bis Israels enger werdende Beziehungen mit den USA und Stalins zunehmender anti-semitischen Paranoia dem ein Ende setzte.

Zu jener Zeit hatte die israelische kommunistische Partei eine starke Position innerhalb der arabischen Gemeinde in Israel aufgebaut. Praktisch war sie eine arabische Partei, obwohl Moskau aus eigenen Gründen diktierte, dass der Generalsekretär jüdisch sein müsse. Die Beziehungen zwischen der Parteiführung und der Regierung waren voller Widersprüche – während die Partei wegen Israels Verbindungen mit Moskau geduldet war, wurde sie vom Shin Bet immer wieder einmal als 5.Kolonne verfolgt.

Da keine andere arabische Partei (außer Mapais zuvor erwähnten arabischen Quislingen) überhaupt toleriert wurde, erfreuten sich die Kommunisten dessen, was sie praktisch zu einem Monopol auf der arabischen Straße werden ließ. Ihre Macht in den arabischen Städten und Dörfern in Israel kam nahe an die absolute Machtposition, die Mapai bis 1977 in der jüdischen Bevölkerung hatte. Weh, den Arabern, die wagten, gegen sie zu opponieren!

Nachdem Ben-Gurion 1963 aus seiner eigenen Partei ausgestoßen worden war, wurde die Einstellung den Arabern gegenüber nach und nach liberaler. Die Militärregierung wurde 1966 offiziell aufgehoben (dies war eine meiner ersten Abstimmungen in der Knesset). Schließlich wurde erlaubt, neue arabische Parteien aufzustellen und in die Knesset einzutreten. Die Beziehungen zwischen Arabern und dem Staat traten in eine neue Phase – eine Phase, die sehr schwierig zu definieren ist.

 

ISRAEL WIRD offiziell als „Jüdischer und demokratischer Staat“ definiert. Mancher sieht dies als Oxymoron an - wenn er jüdisch ist, kann er nicht demokratisch sein; wenn er demokratisch ist, kann er nicht jüdisch sein. Die offizielle Doktrin meint dazu, dass der Staat seinem Wesen nach jüdisch sei, dass aber alle seine Bürger die gleichen Rechte hätten (oder haben sollten).

Nüchtern betrachtet, ist Israel mit diesem grundsätzlichen Widerspruch nie wirklich klar gekommen: welche Stellung hat eine nationale Minderheit in einem Staat, der völlig mit der nationalen Mehrheit identifiziert wird? Wie können arabische Bürger in einem Staat wirklich gleich sein, wenn dieser behauptet „der Nationalstaat des jüdischen Volkes“ zu sein?

Von dem Rückkehrgesetz, das nur für Juden und ihre Nachkommen gilt, über das Bürgerschaftgesetz, das einen scharfen Unterschied zwischen Juden und Nichtjuden macht, bis zu einem Dutzend kleinerer Gesetze, die Leuten Privilegien gewähren, die als „Individuen definiert werden, für die das Rückkehrgesetz gilt“ – gibt es keine wirkliche Gleichheit. Praktisch durchdringt Diskriminierung – offen oder verborgen – die Gesellschaft.

Viele Israelis erklären, dass sie die Diskriminierung verabscheuen, aber behaupten, dass andere demokratische Länder ihre eigenen nationalen Minderheiten auch nicht besser behandeln.

 

EINE DRITTE Generation „israelischer Araber“ wächst jetzt heran. Sie lassen sich nicht mehr von der Regierung einschüchtern, aber leben in einem geistigen Limbo. Sie definieren sich selbst als Palästinenser und unterstützen den palästinensischen Kampf in den Besetzten Gebieten, werden aber auch immer mehr israelisch. Ein anderer Suabi, Abd-al-Aziz, vor vielen Jahren ein Knesset-Mitglied, prägte den Satz: „ Mein Staat ist im Krieg mit meinem Volk.“ Das gegenwärtig prominenteste arabische Knesset-Mitglied ist Ahmad Tibi, einst ein enger Berater von Yasser Arafat, ist meiner Meinung nach von allen Knesset-Mitgliedern der „israelischste“ – dem Charakter und dem Verhalten nach.

Tatsächlich sind die Araber weit mehr in die israelische Gesellschaft integriert, als den meisten Leuten bewusst ist. Viele jüdische Patienten in Regierungskrankenhäusern sind sich der Tatsache nicht bewusst, dass der Arzt und die sie pflegenden Krankenpfleger Araber sind. Bei Fußballwettkämpfen zwischen jüdischen und arabischen Teams schreien die jüdischen Hooligans „Tod den Arabern!“, und ihre arabischen Altersgenossen rufen mit gleicher Begeisterung: „Allah ist groß!“

Vor ein paar Jahren schlug Lieberman vor, die arabischen Städte und Dörfer in Israel, die nahe zur Grenze der Westbank liegen, sollten mit allen ihren Ländereien dem zukünftigen palästinensischen Staat zugeschlagen werden, und dafür sollten die jüdischen Siedlungen in der Westbank auf der anderen Seite der Grenze zu Israel gehören. Da gab es einen Sturm des Protestes vonseiten der arabischen Bevölkerung. Nicht ein einziger arabischer Sprecher unterstützte die Idee.

Doch die wachsende Bitterkeit der arabischen Bürger treibt die arabischen Mitglieder in immer extremere Positionen und zu scharfen Äußerungen, während die jüdischen Politiker des rechten Flügels in ihrem anti-arabischen Rassismus immer extremer werden. So wird die Kluft zwischen den beiden Lagern auch in der Knesset weiter statt enger.

Als Lapid seine Verachtung für die „Suabis“ zum Ausdruck brachte, hofierte er den Mainstream. Chanin Suabi fühlte sich natürlich geschmeichelt.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)